K. Sullivan: The Inner Lives of Medieval Inquisitors

Cover
Titel
The Inner Lives of Medieval Inquisitors.


Autor(en)
Sullivan:, Karen
Erschienen
Chicaco 2011: University of Chicago Press
Anzahl Seiten
896 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Wer wünschte sich nicht, in die Haut einer Person aus der Vergangenheit zu schlüpfen, um mehr über ihr «inneres Leben» zu erfahren? Und dies ganz besonders, wenn es sich um eine Gestalt aus einer so fernen Zeit handelt wie dem Mittelalter? Vor dem Hintergrund dieses Wunsches wirkt der Titel von Karen Sullivans Buch verheissungsvoll, um so mehr als sich die Autorin ausdrücklich von der bisherigen Forschung abhebt, die – so das Beispiel einer neueren Sammlung von Inquisitorenporträts – «has provided a thorough description of the deeds of various inquisitors but limited analysis of their thoughts» (21). Und sie hält fest: «It is presumably because of the perceived inaccessibility of their inner lives that few studies have been devoted to inquisitors, as opposed to ‹the inquisi-tion›». Die wenigen Studien, die einem einzelnen Inquisitor zugedacht sind, hätten sich auf seine Taten («external actions») konzentriert anstatt auf deren Beweggründe («internal motivations») (21).

Dieser Feststellung kann man cum grano salis zustimmen, doch muss in diesem Zusammenhang an das Quellenproblem erinnert werden, das dem umrissenen Forschungsstand zugrunde liegt: Mittelalterliche Inquisitoren haben kaum Schriften hinterlassen, die einen unmittelbaren Zugriff auf ihr Innenleben erlauben würden. Dies weiss selbstredend auch Karen Sullivan. Deshalb ist ihr Ansatz denn auch kein psychologischer, sondern vielmehr ein literarischer, für den sie als historisch bewanderte Literaturprofessorin prädestiniert ist: «Though it is impossible to gain access to the inner life of the inquisitor as a historical subject in the world, it is possible [...] to gain access to his inner life as a literary subject in medieval texts» (3). Das Thema ihres Buches ist also das Bild des Inquisitors, wie es sich in den – meist hoch stilisierten – zeitgenössischen Texten niedergeschlagen hat. Mit Hilfe ihres literarischen Instrumentariums geht die Autorin insgesamt sieben Persönlichkeiten nach, von denen zwei, nämlich Bernard von Clairvaux und Dominik Guzmán, zwar predigend (der erste) sowie predigend und disputierend (der zweite) gegen die Ketzer ihrer Zeit vorgingen, die aber noch keine eigentlichen Inquisitoren im späteren Sinn des Wortes waren, während eine dritte, der Franziskaner Bernard Délicieux, gar als «Geissel der Inquisito¬ren» offensiv gegen Letztere vorging. Dass Bernard Délicieux (1260–1319/20) trotzdem in die vorliegende Studie einbezogen worden ist, lässt sich wohl damit erklären, dass ihm seine Biographin dasselbe schwarz-weisse Schablonendenken attestiert, wie seinen ketzerverfolgenden Gegenspielern.

Bernard von Clairvaux (1090–1153) steht in diesem Buch für die grundsätzliche Verdammung der Ketzer, die vom wortgewaltigen Zisterzienser mit wenig schmeichelhaften Tiermetaphern eingedeckt wurden. Bernard von Clairvaux repräsentiert aber auch den Misserfolg der zisterziensischen Ketzerbekämpfung im französischen Midi, nicht zuletzt, weil er sich der direkten Auseinandersetzung mit den örtlichen Katharern entzog: «In his various encounters with heretics [...], Berard refused to engage in disputations or even in dialogues with his opponents and instead addressed them in monologues alone» (47). Es war der spanische Regularkanoniker Dominik Guzmán (1170–1221), ab 1201 Subprior an der Kathedrale von Osma, der die nächste Phase der Ketzerbekämpfung einläutete, indem er sich den Häretikern in Disputationen stellte. Gleichzeitig übernahmen er und seine Gefolgsleute – aus denen sich der Predigerorden entwickelte – das von den Häresiarchen vorgelebte Armutsideal: «the preachers presented themselves to their audiences no longer as powerful and worldly lords [wie es die Zisterzienseräbte getan hatten] but as weak and holy successors to Christ and his Apostles» (63).

Zur ersten Generation von Dominiks Anhängern gehörte Peter von Verona (1203/05–1252), der, selbst einer häretischen Familie entstammend, zum Ketzerverfolger wurde und im Zuge dieser Tätigkeit umkam. Weniger als ein Jahr nach seinem gewaltsamen Tod wurde er als Märtyrer kanonisiert – im bis heute kürzesten Kanonisierungsverfahren in der Kirchengeschichte. Durch seinen Orden wurde der Peterskult gezielt verbreitet, wobei der Heilige als Person kaum mehr zu greifen ist – um so mehr als die Akten seines Kanonisierungsprozesses verschollen sind. Was bleibt, ist eine von frommen Legenden umwobene Gestalt, «a legendary figure, constructed by a certain medieval and early modern imaginaire» (102). Die Grundzüge dieses imaginaire sind Peters Askese und seine Hingabe in den letzten Lebensmomenten, die seinem Märtyrertod passionsähnliche Züge verlieh.

Ein Jahrzehnt nach Peters Ermordung wurde Bernard Gui (1261/62–1331) geboren, der durch Umberto Ecos «Name der Rose» zum wohl bekanntesten Dominikanerinquisitor geworden ist. Die Zeitgenossen erinnerten sich hingegen mehr an den Bischof bzw. Verwalter und an den Historiker Gui als an den Ketzerverfolger. Letzterer hat der Nachwelt ein Register der von ihm verhängten Urteile und ein Inquisitionshandbuch hinterlassen. Während der Liber sententiarum einen Verfolgungspraktiker erkennen lässt, der mit einer persönlichen «Hinrichtungsrate» von sieben Prozent von vielen Historikern als «moderat» eingestuft wird – vielleicht bestand seine «Zurückhaltung» auch nur darin, dass er sich in seinen Prozessen an die Verfahrensregeln hielt –, zeigt die Practica inquisitionis einen unerbittlichen Verfolger, der davon ausging, dass die von ihm Verhörten alles taten, um ihn zu täuschen: «he never makes clear how an accused heretic who is innocent could protest his innocence with words that could not be suspected of having double meanings» (137). Das zweite bedeutende Inquisitionshandbuch des Mittelalters stammt aus der Feder von Guis Ordensbruder Nikolaus Eymerich (um 1320–1399). Sein Directo-rium inquisitorum, das vom spanischen Kanonisten Francisco Peña 1578 aktualisiert wurde, gibt seinen intendierten Lesern detaillierte Handlungsanweisungen für das Führen eines Inquisitionsprozesses, wobei auch da die Häretiker grundsätzlich der Täuschung verdächtigt werden. Um gleich lange Spiesse zu haben, gesteht der Verfasser dem Inquisitor dieselbe Waffe zu: «It is because the accused party is already dissimulating to the inquisitor, Eymerich indicates, that the inquisitor may dissimulate in turn to him» (175).

Ein Ketzerjäger, der sich an keine Verfahrensregeln gehalten zu haben scheint, war der berüchtigte Konrad von Marburg (1180/90–1233), ein Weltpriester, der vom Papst direkt im Reich eingesetzt wurde. Es ist einfach, bei Konrad pathologische Züge entdecken zu wollen, doch sucht Karen Sullivan einen anderen Weg. Der ebenfalls im Amt ermordete Konrad war nämlich auch der Beichtvater und geistliche Mentor der hl. Elisabeth von Thüringen, die er einem überaus harschen Regime unterzog. Zwischen beiden Tätigkeitsfeldern, der Ketzerverfolgung und der Seelsorge, sieht Sullivan Gemeinsamkeiten, indem sie systematisch mit einer «penitential perspective» argumentiert. Der zufolge kann sowohl die Behandlung Elisabeths wie auch diejenige der angeblichen Ketzer im Sinn einer besonders harten Bussübung verstanden werden, die der Läuterung der davon Betroffenen dienen sollte: «Accounts of Conrad’s dealings with accused heretics do not insist upon the spiritual benefits of his seemingly unjust actions [...], yet the numbers of such people he is said to have not burned [...] suggest that he sought not just to cleanse Germany of sin but to correct the sinner as well, by breaking his will and bringing him to acknowledge his error» (89).

Obwohl, um auf den Titel des besprochenen Bandes zurückzukommen, das «Innenleben» der porträtierten Persönlichkeiten nur sehr bedingt enthüllt werden konnte, ist das Werk von Karen Sullivan doch in hohem Mass lesenswert. Mit ihrem Gespür für mittelalterliche Texte gelingt es der Verfasserin, die literarische Gestalt der behandelten Inquisitoren auf eine selten deutliche Weise herauszuarbeiten, wobei sie – insbesondere im Fall Konrad von Marburgs – zu durchaus verstörenden Erkenntnissen gelangt.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Karen Sullivan, The Inner Lives of Medieval Inquisitors, Chicago/London, The University of Chicago Press, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 496-498.

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